Gedanken zum Körper, Leib und körperlichen Leib

Spielkarte aus der Publikation »Ins Offene – Kultur der Vielfalt gestalten«

In vielen Künsten steht der Körper im Mittelpunkt, so auch in den Darstellenden Künsten. Ohne den Körper bzw. körperlichen Leib wären Tanz, Theater, Performance, Oper, Musicals etc. nicht möglich.

 

»In den Darstellenden Künsten finden Inszenierung und Aufführung im Medium des Körpers statt. Mit ihm wird etwas zur Darstellung gebracht, was ohne ihn nicht existierte.« (Wulf 2016, 1) Der Körper dient als Kommunikationsmittel, der mit Hilfe der erlernten Körpersprache und der Körpersymbolik mit anderen »spricht«. »Damit erhält der Körper in diesen Rollenspielen eine wichtige dramaturgische Bedeutung.« (Gugutzer 2004, 95) Der Körper dient, mit Hilfe von Gestik, Kleidung, Blick oder Sprache als Mittel zur Selbstdarstellung und erfüllt bestimmte Rollenbilder. Dabei hängt das Wie von der jeweiligen Körperlichkeit, vom gesellschaftlichem Verständnis, von Körperbildern und Körpernormen ab. Der Körper muss sowohl als Produzent, als auch als Produkt der Gesellschaft betrachtet werden. Somit ist er sowohl Subjekt, als auch Objekt, das heißt er ist als ein »strukturiertes und strukturierendes Medium von Gesellschaft zu verstehen« (Gugutzer 2004, 143).

Die Gestaltung und Wahrnehmung des Körpers variiert immer je nach Raum und Zeit, daher ist der Körper in Abhängigkeit von gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen zu verstehen. Es bestehen Parallelen zwischen medialen Körperbildern einerseits und lebensweltlichen Erfahrungen andererseits. Der Körper wird in Relation zu anderen, zu den Blicken anderer, zu den Vorstellungen anderer, zu medialen Repräsentationen gestaltet. Daher sind Körper nicht einfach nur gegeben. »Körper ist das, was in den verschiedenen Zeitaltern, Kulturen und Gesellschaften darunter verstanden wird.« (Schroer 2005, 26) Er hat sich von einem disziplinierten und kontrollierten Körper zu einem individualisierten Körper entwickelt, der gesellschaftliche Prozesse initiiert und gesellschaftliche Veränderungen hervorruft. Er ist eine feststehende Größe, die uns zur Verfügung steht, unausweichlich ist und somit einen Rest an Kontinuität und Verlässlichkeit schafft.

 

Dem Körper wird, laut George Herbert Mead, die Funktion der Sozialität zugeschrieben, das heißt er ist die Verbindung zwischen Individuum und Umwelt. Nur durch ihn können wir die Umwelt wahrnehmen und erfahren. Nur durch ihn sind wir fähig zu kommunizieren. Durkheim sieht im Körper die Möglichkeit zur Individualisierung: »der Körper mit seinen Sinnen und Bedürfnissen, ist es, der den Menschen individualisiert, das heißt, zu einer einzigartigen Person macht...« (Gugutzer 2004, 29) Georg Simmel sieht die Wahrnehmung durch den Körper als entscheidenden Prozess in der Beziehung zwischen Aneignung der Welt und dem Zusammenleben der Menschen an. Dabei spielt, wie bei der Wahrnehmung von Filmen, das Auge eine spezielle Rolle. Denn primär interagieren wir visuell (vgl. Gugutzer 2004, 32). Für die unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Köpers ist eine Definition des Körpers unverzichtbar.

 

Was ist der »Körper«?

Der Körper wird als eine abgeschlossene Einheit betrachtet, die einen messbaren Raum ausfüllt. Es wird zwischen Körperinnerem und Körperäußerem unterschieden (Zweiheit des Körpers). Dabei sind die Raum- und Körperbilder eng aufeinander bezogen und entstehen nicht unabhängig voneinander. Wenn man sich zum Beispiel die Beschreibung und Planung von Gebäuden anschaut, sind diese immer mit unten-oben, vorn-hinten benannt, was wiederum den körperlichen Begriffen von Kopf und Fuß und Gesicht und Rücken entspricht. Zu unterschiedlichen Zeiten wurde der Körper auch als Raum begriffen. Der Körperraum als Differenzierung zwischen Innen und Außen. Das Innen, in dem Organe angeordnet sind, das nicht sichtbar ist, das nicht kontrolliert werden kann und einem Außen, das wahrnehmbar ist, das angeschaut und betrachtet werden kann, das in Relation zu den Blicken und Vorstellungen anderer steht und medialer Repräsentation unterworfen ist. Indem sich auch die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit wiederspiegelt. Damit auch verbunden die Vorstellung von Gesellschaft als lebendigem Organismus (Simmel), bei dem jeder seinen Platz einnimmt, wie ein Organ. Wenn jedoch Gesellschaft nicht länger als eine organische Ganzheit gedacht werden kann, hat das erhebliche Auswirkungen auf einzelne Körper (vgl. Schroer 2012, 283). Der Körper würde zergliedert, seziert, Körpergrenzen lösten sich zunehmend auf und somit veränderten sich auch die Körpervorstellungen in Hinsicht auf die Herstellbarkeit von Körpern und die Körperarbeit. Der Körper hat gestalt- und modellierbar zu sein. Das Individuum ist demnach für seinen Körper selbstverantwortlich. Er gilt als individuell und kollektiv zu bearbeitende Ressource und stellt damit eine spezifische Form von Kapital also korporales Kapital dar (vgl. Schroeter 2009, 164). Er wird zur Schnittstelle zwischen Selbst und Fremdführung, das heißt der Blick der Anderen wird mit der Selbststeuerung verknüpft. Der Körper ist die Grundlage von Zuordnungen, Kategorisierungen und Hierarchisierungen, sodass grundlegende gesellschaftliche Strukturkategorien wie Ethnizität, Geschlecht und Alter auf äußerliche körperliche Merkmale rekurrieren (vgl. Bauriedl 2000, 131).

 

Körper und Leib sind zentrale Gegebenheiten, die einen Einfluss auf unsere Gesellschaft und Sozialität ausüben. Die Definition des Körpers geht immer von der Zweiheit Helmuth Plessners aus, der unterschieden hat zwischen »Körper haben« und »Körper sein«. Den Körper zu haben bedeutet, ihn zu besitzen und verändern zu können. Der Körper zu sein bezieht sich auf die Hier-und-Jetzt-Gebundenheit in Raum und Zeit. Die Unterscheidung Körper/Leib hat Helmuth Plessner (1975) schon früh in seinen »Stufen des Organischen und der Mensch« eingeführt, um die exzentrische Positionalität des Menschen zu verdeutlichen. Während Tiere aus ihrer Mitte heraus leben, also zentrisch organisiert sind, können Menschen sich reflexiv auf sich selbst beziehen; während Tiere ihren Leib sind, haben Menschen auch einen Körper. Der Mensch ist in seinem Erleben Leib, in der Selbstreflexion hat er einen Körper. »Der wahrnehmend-wahrnehmbare, spürend-spürbare Leib und der Körper als form- und manipulierbarer Gegenstand bilden eine untrennbare, sich wechselseitig prägende Einheit.« (Gugutzer 2006, 30) Diese Unterscheidung, die Robert Gugutzer als zwei untrennbare Facetten des menschlichen Daseins, die sich wechselseitig bedingen (vgl. Gugutzer 2004, 146) beschreibt, ermöglicht noch einmal genauer, erstens den Körper als Gegenstand, der über objektive Gegebenheiten (Auge, Hände, Beine, etc.) verfügt und von außen wahrgenommen wird, und zweitens den Körper als diskursives Produkt, das Zuschreibungen erfährt, das von Wissenskonzepten durchzogen ist, kulturell und sozial geformt wird, und drittens die gelebten, leiblichen Erfahrungen, wie z. B. Schmerz, Unsicherheit, Angst zu erkennen (vgl. Jäger 2004, 132 f.). »Der Mensch ist Plessner zufolge Naturwesen, insofern er leiblich (sein Körper) ist und er ist Kulturwesen, insofern er seinen Körper hat.« (Gugutzer 2004, 148) Die Körperpraxis, die Körperwahrnehmung und die Körperhaltung sind ein Ergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse, Institutionen, Normen und Werte (vgl. Gugutzer 2004, 44). Der Körper wird als Objekt wahrgenommen, das man nach Belieben verändern kann. Jedoch geht die Phänomenologie davon aus, dass der Körper auch Initiator sein kann und eine gewisse »Eigenständigkeit« besitzt. Es geht nicht mehr nur um einen kontrollierten, unterdrückten und disziplinierten Körper, der wie ein Gegenstand behandelt werden kann. Die Phänomenologie sieht den Körper nicht nur als ein Resultat gesellschaftlicher Normen oder als ein Objekt an, sondern als ein Subjekt, als ein »wahrnehmender und wahrnehmbarer Leib« (Gugutzer 2004, 44).

 

Die Begrifflichkeit des körperlichen Leibes von Ulle Jäger basiert auf der Unterscheidung von Körper und Leib, »die sich in der sozialwissenschaftlichen Körperthematisierung durchgesetzt hat« (Duttweiler 2011, 163). Jedoch entzieht sich der Begriff des körperlichen Leibes als Verschränkung von Körper und Leib einem ›entweder – oder‹ und verweist auf die drei möglichen Perspektiven des menschlichen Daseins (vgl. Jäger 2004, 215). Außerdem ermöglicht der Begriff des ›körperlichen Leibes‹ auch, die Perspektiven von Leiblichkeit, Lebendigkeit und Erfahrung mit zu erfassen (vgl. Jäger 2015, 100).

Literatur

Bauriedl, Sybille/Fleischmann, Katharina/Strüver, Anke/Wucherpfennig, Claudia (2000): Verkörperte Räume – verräumte Körper. Zu einem feministisch-poststrukturalistischen Verständnis der Wechselwirkungen von Körper und Raum, in: Geographica Helvetica. Jg. 55/Heft 2, S. 13-137, https://doi.org/10.5194/gh-55-130-2000, (Datum des Zugriffs 29.08.2018).

 

Gugutzer, Robert (2006): Der Body Turn in der Soziologie, in: Gugutzer, Robert (Hrsg.): body turn. Perspektiven der Soziologie des Körpers und des Sports, Bielefeld: transcript, S. 9-53.

 

Gugutzer, Robert (2004): Soziologie des Körpers, Bielefeld: transcript.

 

Jäger, Ulle/König, Tomke/Maihofer, Andrea (2015): Pierre Bourdieu. Die Theorie männlicher Herrschaft als Schlussstein seiner Gesellschaftstheorie, in: Kahlert, Heike/Weinbach, Christine (Hrsg.): Zeitgenössische Gesellschaftstheorien und Genderforschung: Einladung zum Dialog, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 15-35.

 

Jäger, Ulle (2004): Der Körper, der Leib und die Soziologie. Entwurf einer Theorie der Inkorporierung, Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag.

 

Plessner, Helmuth (1975): Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin & New York: Walter de Gruyter.

 

Schroer, Markus (Hrsg.) (2005): Soziologie des Körpers, 1. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

 

Schroeter, Klaus R. (2009): Korporales Kapital und korporale Performanzen in der Lebensphase Alter, in: Willems, Herbert (Hrsg.): Theatralisierung der Gesellschaft, Bd. 1: Soziologische Theorie und Zeitdiagnose, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 163-181.

 

Wulf, Christoph (2016): Der Körper in den Künsten. Mimetische und performative Prozesse in Tanz, Musik und Kunst, in: Studi di estetica, anno XLIV, IV serie, 1, chrome-extension://oemmndcbldboiebfnladdacbdfmadadm/https://journals.mimesisedizioni.it/index.php/studi-di-estetica/article/download/465/814, (abgerufen am 10.07.2023).