Der Eigensinn von Dingen

Spielkarte aus der Publikation »Ins Offene – Kultur der Vielfalt gestalten«

Dinge sind Hilfsmittel der Menschen, die den Alltag erleichtern und Handlungen strukturieren (vgl. Bosch 2010, 13). Sie wirken auf Handlungen ein, rufen Handlungen hervor und gründen diese mit. Gerade die Stofflichkeit, Form und Funktion von Objekten legen dem Menschen bestimmte Handlungsweisen nahe (vgl. Meyer-Drawe 1999), obwohl das Wissen über bestimmte Handlungs- und Funktionsweisen in der Regel eher aus Gewohnheit und nicht aus Reflektion angewandt wird. Das Öffnen einer Tür mit einem Schlüssel, das Staubwischen der Bücherregale oder die Bedienung eines Automobils vollziehen sich zwischen körperlichem Leib und Ding oftmals völlig unbewusst.

 

Es gibt zahlreiche Eigenschaften alltäglicher Gegenstände (der Gebrauch der Zahnbürste, das Fahrradfahren, das Anstellen der Kaffeemaschine etc.), die den Benutzer:innen und Besitzer:innen eine grundlegende Gewissheit darüber geben, was im alltäglichen, routinierten Ablauf eines Tages passiert.

Die Auseinandersetzung mit unserer materiellen Umwelt unterstellt eine gewisse Berechenbarkeit der Dinge, ihre Zuverlässigkeit und ihr Erfüllen bestimmter Funktionen. Objekte haben daher unserem Handeln dienlich zu sein und eher keine autonome Rolle zu spielen. Sie sind auch im Hinblick auf die Vermittlung von Botschaften zuverlässig: Jede Verkehrsampel hat etliche Menschenleben gerettet, da sie durch allgemein verständliche Leuchtzeichen den Verkehr regelt (vgl. Hahn 2016, 9).

 

Worin besteht aber nun der Eigensinn der Dinge? Hans Peter Hahn zufolge in ihrer Beiläufigkeit und Unbestimmtheit sowie in ihrer Relation zu Ort, Gebrauch und Relevanz. Die Dinge sind in dem Sinne eigensinnig, dass sie sich einer Vereinheitlichung von Welt entziehen. Die Dinge sind ambivalenter und im Alltag oft weniger wichtig, oder ihre Bedeutung widersprüchlicher, als es Betrachtungsweisen wahrhaben wollen, die ihnen einen stabilen Platz in der Gesellschaft zuweisen. Lebenswelten gründen sich durch Dinge. Jedoch lassen sich den einzelnen Dingen keine dauerhaften und stabilen Bedeutungen zuweisen. »An die Stelle der klaren Zuordnung ist Mehrdeutigkeit getreten. Glaubt man in einem Moment noch an die Stärke und Eindeutigkeit eines Symbols, so stellt sich im nächsten Moment heraus, dass mit dem gleichen Gegenstand auch ganz andere Dinge zum Ausdruck gebracht werden können.« (Hahn 2016, 11) Die Bedeutungen der Dinge befinden sich in einem steten Wandel.

 

Die Wirkungen der Dinge beruhen eher auf der bloßen Ko-Präsenz zwischen Menschen und Dingen. Oft kann diese Ko-Präsenz mit Dingen zu unerwarteten, folgenreichen Wechselwirkungen führen: wie bei einem Ausfall eines kleinen technischen Subsystems im Flugzeug. Damit stellt Hans Peter Hahn heraus, dass die Gegenwart von Dingen eine Wirkung haben kann, jedoch können Dinge keine Intentionen haben. Daher greift Hans Peter Hahn auf den Begriff ‚Eigensinn‘ zurück, um den unvorhersehbaren Konsequenzen der Verflechtung zwischen Mensch und Ding einen angemessenen Platz einzuräumen (Hahn 2016, 12). Mit Eigensinn meint Hans Peter Hahn, dass sich die Dinge der absoluten Kontrolle entziehen.

 

Es sind weder Tücke, noch funktionale Verweigerung, die die Widerständigkeit von Dingen ausmachen, sondern vielmehr die Vielfalt an Eigenschaften, Kontexten, Beziehungsgeflechten und Bedeutungen. Daraus folgt die Unmöglichkeit, die Dinge in ein Korsett einer begrenzten Liste von Bedeutungen einzuzwängen (Hahn, 2016, 14).

Literatur
Bosch, Aida (2010): Konsum und Exklusion. Eine Kultursoziologie der Dinge, Bielefeld: transcript.

 

Hahn, Hans Peter (2017): Der Eigensinn der Dinge: warum sich Objekte in bestimmten Momenten anders verhalten, als sie es sollten, in: helden. heroes. héros, 1 (1), chrome-extension://oemmndcbldboiebfnladdacbdfmadadm/https://d-nb.info/1124004858/34, (abgerufen am 10.07.2023).

 

Meyer-Drawe, Käte (1999): Herausforderung durch die Dinge. Das Andere im Bildungsprozeß, in: Zeitschrift für Pädagogik. Jg.45/Heft 3, S. 329-336.