Das Potential der Vielfalt

1997 bis 2005

Aufgrund der Erfahrung, dass die Vielfalt der Spieler:innen das Potential für inhaltlichen, ästhetischen und sozialen Austausch bereichert, entstand zwischen 1997 und 2005 die Idee zu einem neuen Vorhaben: ein Ensemble sollte entstehen, dass alle möglichen Lebensbereiche repräsentierte. Sebastian Brants »Narrenschiff« forderte eine solche Konstellation geradezu heraus. Weitere Projekte Brechts »Dreigroschenoper« und ein Musiktheater zu Ovids »Metamorphosen« folgten. Seit 2005 laufen die Projekte mit heterogenen Gruppen unter dem Label »Volxtheater«.

 

Es handelt sich nur um einen Auszug unserer Produktionen. Hier können nicht alle Veranstaltungen, Projekte und Prozesse dargestellt werden.

METAMORPHOSEN – TANZ- UND MUSIKTHEATER AUF DEN FÄHRTEN DES OVID

 

 

Ovids »Metamorphosen« bilden als Dichtung wohl die ergiebigste Quelle der griechischen Mythologie. Unter diesen »Verwandlungsge­schichten« interessierten das Leitungsteam dieser Inszenierung vor allem diejenigen, die von den Ursprüngen und den Kräften des Schöpferischen, des künstlerischen Ausdrucks erzählen. Nach einem durch eine Übermacht hervorgerufenen GAU zum Auftakt, erleben die Zuschauer:innen an zehn Götterfiguren Urmotive schöpferischen Handelns und die damit einhergehenden Konflikte: göttliche und technische Visionen, unerfüllte Liebessehnsucht, Verzehrung in Selbstliebe und Allmachtsfantasien leiten die Protagonist:innen und stürzen sie und andere in ihr Schicksal. Dabei entstehen immer wieder neue Bilder, Formen, Klänge,...ja, sogar das menschliche Wesen.

 

Auch die Musik knüpft an antike Vorbilder an. Ein Vokalensemble kommentiert und erweitert das Bühnengeschehen – ähnlich wie einst die Chöre der griechischen Tragödien – mit einer Mischung aus improvisatorischem Gesang, Textrezitation und Bewegung. Oboe und Harfe – die modernen Erben der antiken Instrumente Aulos und Lyra – bilden dazu einen instrumentalen Widerpart.

 

Spieler:innen: Frank Bartelniewöhner, Hannah Fissenebert, Matthias Hecht, Volker Hellwig, Lotti Kluczewitz, Waltraud Lössel, Karl-Heinz Melzer, Jan Osterkamp, Martin Psiorz, Dimitra Visaitou

Chor: Ingeborg Gagelmann, Martin Hahn, Clara Hogrebe, Bernhard König, Julia Lefarth, Alfred Schultz

Musik: Linda Frank (Harfe), Eduard Frank (Oboe)

Leitung: Kai Büchner, Matthias Gräßlin

Komposition: Bernhard König

 

TANZ DER VAMPIRE – EIN EXPERIMENT

Transsylvanien im Winter, ein penetranter Professor, sein unerfahrener Assistent, ein Wirtshaus voller Knoblauch, ein schmieriger Wirt, seine schöne Tochter, ein krüppeliger Diener, ein tagscheuer Graf und ein düsteres Schloss. Geschichten und Mythen um Vampire sind uralt und verlieren doch anscheinend nie ihren Reiz. Wen wundert´s: sind sie doch eigentlich hochaktuell in einer Zeit, in der Fantasy-Literatur und Filme zur Realitätsflucht und Unterhaltung nur so boomen, die Ambivalenz von Erotik, Gewalt, Lust und Gefahr stetig Thema ist und in der sich die Menschheit zunehmend gegenseitig »an den Hals geht« und sich und die Welt rücksichtslos »saugend« um ihre Ressourcen bringt.

 

Fast fünf Monate lang widmeten sich 28 Schüler:innen des Chores der Jahrgangstufen 9-13 der Friedrich-von-Bodelschwingh-Schulen dem »unsterblichen« Stoff: Sie experimentierten mit individuellen Spielweisen, persönlichen Gesangsinterpretationen und eigenwilligen Tanzformen. Jetzt wagen sie ihren ganz eigenen Tanz der Vampire. Unterstützt werden sie von einem 15-köpfigen Orchester der Schule.

 

Sänger:innen: Seda Altintas, Annika Bohms, Gregor Bonse, Stefanie Elbracht, Ulrike Fassnacht, Joanna Galling, Jalée Gheiby, Benjamin Große, Alina Heddrich, Anja Hoff, Marco Johanning, Philip Kaupmann, Miriam Küth, Lena Löhr, Elena Meistrowitz, Ronja Mühlenweg, Isabel Peters, Franziska Puhe, Wiebke Rademacher, Henrike Rau, Svenja Schmidt, Catharina Starken, Dorothea Stracke, Mirjam Verwold, Eva L. Weber, Hella von Wedelstedt, Magdalena Witulski, Timo Verse

Leitung: Kai Büchner

Musikalische Leitung: Michael Witulski

BACK IN BABYLON

Das Projekt basiert auf einer Idee, die 1997 entstand. Im Vordergrund stand der Mythos der Sprachverwirrung, die Spannungen, die entstehen, wenn Menschen unterschiedliche Zeichensysteme entwickeln, verwenden und zueinander in 'indirekte' Beziehung setzen. 2004 wurde die Idee fortgeführt, d.h. die Betrachtung des Lebens- und Arbeitsraum Bethels unter der Fragestellung: wie kommen Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen Interaktions- und Kommunikationsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe miteinander aus? In der Theaterwerkstatt Bethel wurden circa 20 Menschen mit möglichst verschiedener Herkunft zum gemeinsamen Erzählen, Singen, Spielen, Tanzen eingeladen .

 

Spieler:innen: Carmen Acevedo, Bruna Boldrini, Julia Czernek, Simon Füchtenschnieder, Martin Hahn, Setsuko Hüstebeck, Thomas Kaniki, Lotti Kluczewitz, Lys Kulamadayil, Valeria Schäfer, Luisa Losada del Sagel, Alexander Spiertz, Clayton Smith, Dimitra Visaitou

Leitung: Kai Büchner, Matthias Gräßlin

Musik: Julia Czernek, Andreas Gummersbach, Martin Hahn, Thomas Kaniki, Stefan Schulz, Clayton Smith

 

DIE LETZTEN SIEBEN WORTE UNSERES ERLÖSERS AM KREUZ

Ein liturgisches Tanztheater zum Streichquartett von Joseph Haydn. Sieben Sonaten, eine Einleitung und ein Erdbeben am Schluss bilden das Werk Joseph Haydns. Die Komposition schrieb er 1785/86 für die Exerzitien des Domherren zu Cadix. Die Musik war Teil einer liturgischen Feier, in der die »letzten sieben Worte Jesu am Kreuz« verlesen und interpretiert wurden. Nach jeder Lesung kniete der Bischof im schwarzverhangenen Raum betend nieder und meditierte mit der Gemeinde zur Musik. Joseph Haydn, der die »sieben Worte« selbst für eines seiner gelungensten Werke hielt, bearbeitete die ursprüngliche Orchesterfassung für Streichquartett.

 

Das Volxtheater greift die damalige Tradition der Exerzitien mit Szenen der Passion wieder auf. Das Ensemble setzt sich mit den Mitteln von Tanz, Theater, Performance und rituellen Handlungen in neuer Weise mit dem Werk auseinander. Im Wechselspiel von szenischen Bildern und der musikalischen Interpretation durch das Berliner Quartetto 1787, entsteht ein Dialog, der mit allen Sinnen die Dimensionen der letzten Worte Jesu am Kreuz spürbar werden lässt und in die heutige Zeit weiterentwickelt.

 

Leitung: Matthias Gräßlin

Quartetto 1787, Berlin: Kathrein Allenberg (Violine), Christina Anger (Viola), Marianne Heedegard (Violine), Uwe Christian Müller (Violoncello)

 

DREI GROSCHEN OPER

Das Volxtheater-Ensemble saust mit vollen Tempo in die Widersprüche einer Oper und rückt das Erfolgsstück von Bertolt Brecht, Kurt Weill und Elisabeth Hauptmann ins Licht der heutigen Zeit: Wie sieht es heute am Fuße der Leiter des kapitalistischen Erfolgs aus? Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auf. Die Maschen des sozialen Netzes werden größer. Die Fallhöhe von der gesellschaftlichen Bühne steigt. Die Menschen kämpfen um Anerkennung und Selbstwertgefühl. Das Geld rinnt durch ihre Finger: Wer gestern noch »dazu« gehörte, steht heute in Lumpen da. Das hat Folgen.

 

Spieler:innen: Frank Bartelniewöhner, Nina Delbrügge, Ingeborg Gagelmann, Marie-Luise Gerhold, Volker Hellwig, Gereon Klein, Lotti Kluczewitz, Anne Löhr, Jan Osterkamp, Martin Psiorz, Günter Stahlschmitt, Ingrid Stahlschmitt, Gundhild Weiland, Marei Wormsbecher, Karsten von Wulfen

Regie: Kai Büchner, Matthias Gräßlin

Musik: Martin Gentejohann

 

MEA CULPA – JENSEITS VON GUT UND BÖSE

Wie viel Schuld braucht der Mensch? Bin ich schuld? Ist Schuld mehr als ein kausaler Zusammenhang? Gibt es eine Kollektivschuld? Wer ist schuld und wer trägt die Verantwortung? Erfordert Schuld ein Bewusstsein? Gibt es eindeutige Täter bzw. Opfer? Kann man sich eigentlich für alles entschuldigen? Wie viel Schuld erträgt der Mensch?

 

Inspiriert von der Frage »Welches Theater spielen Jugendliche nach dem 11. September '01?« beschäftigt sich das Jugendensemble mit dem Thema »Schuld und Bühne«. Die Mitwirkenden recherchierten in (Bühnen-)Literatur und neuen Medien. Zugleich experimentierten sie mit eigenem Erfahrungsmaterial und entwickelten ein berührendes Stück über Lebenshaltungen in Zeiten von Terror und Comedy-Boom.

 

Leitung: Kai Büchner, Jan Osterkamp

 

SISYPHOS – EIN VERSUCH ÜBER DIE LANGE WEILE

 

 

»Sisyphos – ein Versuch über die lange Weile« enstand im Rahmen des Projektes »Tanz, Theater und Musik mit schwerstmehrfachbehinderten Künstler:innen«. Eine Konzeption, die von den Arbeits- und Spielweise der Kolleg:innen mit Behinderung ausgeht. Um gleichberechtigt auf der Bühne stehen zu können, galt es in der Inszenierungsarbeit gemeinsame Ausdrucksformen jenseits konventioneller Sprachmittel zu finden und dabei dramaturgisch radikal umzudenken. Der antike Stoff über den Helden des Absurden und die Interpretation durch Albert Camus schien uns der richtige Bezugsrahmen für einer Performance, in der es keinen abgesprochenen Ablauf gibt, sondern nur das Spiel aus dem Moment heraus.

 

Spieler:innen: Kai Büchner, Henner Dörflein, Matthias Gräßlin, Dorlis Fährenkemper, Anne Kordbarlag, Siegrid Kuckuck, Caro Länger, Klaus Latza, Julia Lefarth, Stefanie Neubeck, Beate Neuhaus, Mario Opheiden, Jan Osterkamp, Gabi Pollmann, Daniel Rimmert, Heiner Schröder, Elisabeth Schulz, Wolfgang Steinböhmer, Simon Roloff, Dorothea Wiemer

Leitung: Matthias Gräßlin, Julia Lefarth

NARRENSCHIFF – EIN TURBULENTES THEATER NACH SEBASTIAN BRANT

 

 

1494 veröffentlichte Sebastian Brant »Das Narrenschiff«. Es enthält 112 Motive in Wort und Bild, die alle erdenklichen Situationen des Alltags, der Wirtschaft, Politik und Religion kommentieren. Niemand ist davor gefeit, sich zum Narren zu machen. Das »Narrenschiff« handelt vom Eingegrenztsein im Positiven wie im Negativen. Brant beschreibt die Menschen und findet Narren. Narrheit existiert in den eigenen Augen und den Augen der Anderen, als Mitteilung oder als Selbsterkenntnis. Das ist nicht immer lustig. Was passiert, wenn ich es zu arg treibe? Es geht um Geben und Nehmen, um Einbinden und Scheuchen, und ums Geld. Am Ende steht die Frage: Wie lebendig bin ich eigentlich noch, wenn ich kein Narr mehr bin?

 

Spieler:innen: Helmut Austermann Arafna, Frank Bartelniewöhner, Bruna Boldrini, Barbara Erkan, Doro Falkenroth, Ingeborg Gagelmann, Volker Hellwig, Kika Kern, Lotti Kluczewitz, Carolin Länger, Jan Osterkamp, Michael Probst, Martin Psiorz, Kay Sallach, Jürgen Steinmann, Daniel Rimmert, Bernold Rix, Elaisa Schulz, Bärbel Schütz, Uli Schröder

Musiker:innen: Klaus-Dieter Feld, Claudia Gentejohann, Martin Hahn, Martin Hohmann, Gerd Hyprath, Gereon Klein, Bernhard König, Christoph König, Waltraud Lössel

Leitung: Kai Büchner, Matthias Gräßlin, Julia Lefarth

Komposition: Bernhard König

 

DER PERFEKTE MENSCH – TAUCHGANG 2

Was macht Behinderung aus? Wer ist behindert? Was behindert? Durch wen? Und: Was ist der perfekte Mensch? Gibt es ihn? Wenn nicht-...oh Gott! Wenn ja-...was nun? Unwirkliches Licht, Objekte, Klänge verwandeln den Aufführungsraum in einen Zwischen-Ort. Das Publikum kann hinabtauchen in die Welt derer, die in der Gesellschaft nahezu unsichtbar um ihre Integrität kämpfen. In 19 szenischen und choreographischen Bildern wird das Verhältnis von »Behinderten« und »Nichtbehinderten« in der Gesellschaft beleuchtet.

 

Leitung: Kai Büchner, Matthias Gräßlin

Supervisor: Wolfgang Döring

Licht und Raum: Ingo Reinhardt

Musik und Ton: Rainer Falkenroth

Technik: Jens Wienekamp

 

DIE ZAUBERFLÖTE

Nach Wolfgang Amadeus Mozart, arrangiert von Erwin Meier. In einem ehrenwerten Haus hat sich eine Gemeinschaft von Musikliebhaber:innen vorgenommen, Mozarts Zauberflöte zu erarbeiten und für einen wohltätigen Zweck zur Aufführung zu bringen. Sie ringen um die Rollen und schnell zeigt sich, dass diese den Anwesenden wie auf den Leib geschnitten sind. Sicher, einige müssen arg mit den an sie gestellten Anforderungen kämpfen. Anderen geben sie aber auch Gelegenheit, geheime Wünsche auszuleben. Draußen auf der Straße ist eine Kinderbande mit nichts als Unfug im Kopf unterwegs. Sie suchen das Abenteuer und bilden ebenfalls eine verschworene Gemeinschaft. Neugierig schauen sie in die von Kerzenlicht erleuchteten Fenster der Villa. »Was treiben die da? Musizieren? Und dieses Gehabe?« Zunächst machen sie sich lustig, indem sie die feinen Bürger nachäffen. Doch allmählich finden sie Gefallen an den Geschichten, die diese Musik erzählt und nehmen ihr eigenes Spiel zunehmend ernst.

 

Leitung: Matthias Gräßlin, Carolin Länger

Musikalische Leitung: Martin Gentejohann

 

BABYLON

Die Geschichte von der Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel ist bekannt. Wenn nicht aus der Bibel, dann aus dem Volksmund und in ihren wesentlichen Aspekten aus anderen Sagen und Legenden der Welt. Das Bielefelder Projekt »Babylon« führte Künstler:innen aus fünf Ländern zusammen, um neun Tage lang gemeinsam am Thema Babylon zu arbeiten. Auf Einladung des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerkes e. V. Dortmund und der Theaterwerkstatt Bethel trafen sich im September 1997 in Bielefeld die Rockband »5ª Punkada« aus Coimbra/Portugal, das Tanzensemble »Capodarco« aus Rom/Italien, die Theatergruppen »Perlan« aus Rejkiavik/Island und »Tapetenwechsel« aus Bethel sowie eine Gruppe der »Limfjordsskolen« aus Løgstør/Dänemark. Die etwa 40-köpfige internationale Gruppe hat in gemeinsamen Übungen und Improvisationen zu verschiedenen Aspekten des Mythos Geschichten, Szenen, Choreographien und Musik entwickelt und zu einer szenischen Collage zusammengefügt.

 

Leitung: Kai Büchner, Matthias Gräßlin

Musikalische Leitung: Bernhard König